Der 14 Jährige Yahya Sandeh ist der erste Flüchtling am Theodor Heuss Gymnasium
SÜD. Auf einmal musste Anfang November alles ganz schnell gehen: Nur einen Tag lang Zeit hatte man am Theodor Heuss Gymnasium, um zu beratschlagen, wie man Yahya Sandeh (14) empfangen sollte. Erfahrung mit dieser Situation hatte weder die Lehrer- noch die Schülerschaft, denn der syrische Junge war der erste und bislang auch einzige Flüchtling am Süder Gymnasium. Deswegen ist es kein Wunder, dass ein Vorschlag zur Begrüßung auf charmante Weise übers Ziel hinausschoss, wie sich Schulleiter Frank Strasen grinsend erinnert: "Ein Schüler fragte, ob auch Konfetti geschmissen werden soll.“
Als Yahya Sandeh jetzt, ein paar Wochen später, davon hört, hat er augenscheinlich Spaß. Dieser äußerst sich in einem sympathischen, aber zurückhaltenden Lächeln – und genauso dürften ihn alle am Tag des Erscheinens erlebt haben. Ein großes DIN-A2 Banner hatten sie schließlich für ihn aufgehängt, "Willkommen am THG“ stand darauf, und unter einem Klassenfoto hatten alle Mitschülerrinnen und –schüler unterschrieben. Nach Schulschluss durfte der Neuankömmling das Banner mitnehmen, "und da war er ganz gerührt“ erläutert Klassenlehrer Wolfgang Geipel.
Und Yahya Sandeh bestätigt das: "Alle waren sehr nett, alle bemühen sich.“ Das sagt der 14 Jährige in Deutsch, und das ist erst einmal eine Überraschung. Aber die Flucht vor dem Krieg in Syrien hat ihn schon vor einem Jahr nach Deutschland geführt, und in Bayern hat er bereits vier Monate lang die Mittelschule besucht. Und immerhin hat er dabei so gute Deutschkenntnisse erworben, dass man ihm in Recklinghausen einen Besuch des Gymnasiums zugetraut hat.
Und einen Fehler habe man damit an der Theodor-Körner-Straße nicht begangen, findet Wolfgang Geipel: „Er spricht wirklich gut Deutsch, aber er hält sich verständlicherweise immer noch sehr zurück.“ Damit sich das schnell verbessert, erhält Yahya Einzelunterricht. Doch einfach sei das alles nicht, findet er selbst: „Ich rede mit den Mitschülern Deutsch, aber wenn ich nach Hause komme, eben nicht mehr. Da verlernt man wieder alles. Und die Grammatik ist völlig anders.“
In die Klasse 7b haben sie ihn gesteckt, und dort ist er jetzt der Älteste. Berührungsängste haben die Mitschüler deswegen aber nicht. „Nein, er ist völlig problemlos aufgenommen worden“, erklärt Wolfgang Geipel, „die waren alle spontan begeistert.“ Und ein Trio hat ihn auch umgehend zu Hause an der Düppelstraße besucht und ist mit ihm Billard spielen gegangen. Yahyas älterer Bruder Ahmad (23) erzählt, dass es der eindringlichste Wunsch der Mutter gewesen sei, dass dem Jungen der Schulbesuch ermöglicht wurde. Und dass sie sich sehr freue, dass es so reibungsfrei abläuft. Schließlich habe man in der ersten Zeit in Recklinghausen andere Nöte gehabt: Weil es kein Bett gab, musste Yahya im Flur auf dem Boden schlafen.
Keine allzu großen Sorgen scheint dem 14-jährigen hingegen der Stoff in der Schule zu bereiten: „In Mathe waren wir in Syrien schon weiter“, sagt er offen, doch Klassen- und Mathelehrer Wolfgang Geipel kann möglicherweise erklären, woran das liegt: „Um zu gucken, wie weit er ist, habe ich ihm erst einmal Aufgaben aus dem letzten Jahr gegeben. Damit ist er gut klargekommen.“
Ansonsten wirkt Yahya wie ein normaler Junge, der Fußball mag und gerne Skateboard fährt. Fragt man ihn direkt nach seinen Wünschen, so zuckt er mit den Schultern: „Keine Ahnung.“ Und das ist auch nicht ungewöhnlich für seine Altersklasse.
Ein bisschen irritiert reagiert er jedoch auf die Frage, ob er erst einmal hier bleiben wolle: „Ja, schon“, sagt er mit einem Zögern, das vielleicht nur allzu verständlich ist, wenn man bedenkt, dass er die letzten Jahre immer wieder aufbrechen musste – vom syrischen Aleppo über die Türkei, Libyen und Italien nach Deutschland.
Am Theodor-Heuss-Gymnasium soll und wird es jedenfalls nicht scheitern, das Yahya Sandeh irgendwann auch für Recklinghausen heimatliche Gefühle entwickelt. Schulleiter Frank Strasen sagt, wie es ist: „Das ist unsere gesellschaftliche Aufgabe.“
RZ am 04.01.2016